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Beitrag vom 28.03.2013
Silly - Kopf an Kopf
Nele Herzog
Manche meinen, Anna Loos hätte es geschafft, die erfolgreichste Band der DDR vom Ost-Klischee zu befreien, andere finden, dass sie die verstorbene Frontfrau Tamara Danz nicht würdig ersetzen kann.
Früher machten Silly "Ostrock", eine Bezeichnung, die erst nach dem Mauerfall und Tod der beliebten Tamara Danz Einzug ins Feuilleton hielt. Nach zwischenzeitlicher Funkstille werden sie heute musikalisch zwischen Bands wie Rosenstolz oder Ich+Ich verortet. Das Nachvollziehen dieser Entwicklung stellt vor allem für Fans der ersten Stunde eine Herausforderung dar. Die neue Frontfrau Anna Loos ist erfolgreiche Schauspielerin und Musicaldarstellerin, im Osten wie Westen bekannt, wird zu Talkshows eingeladen und in Klatschblättern portraitiert. Sie mit ins Boot zu holen, war also für Keyboarder Ritchie Barton, Gitarristen Uwe Hassbecker und Bassisten Jäcki Reznicek eine heikle Entscheidung für den Sprung von Nostalgie-Showbühnen mit ehemaligen DDR-Hitparaden-Kollegen wie Karat oder City in Formate, die ihnen bisher keine Beachtung geschenkt hatten.
"Kopf an Kopf" steht nicht nur symbolisch sondern auch musikalisch für ein Aufbrechen bei gleichzeitigem Zurücksehnen - der Titel soll an eine Reibung erinnern, die manchmal zwischen zwei sich nahestehenden Parteien entstehen muss, damit beide vorankommen können. Das lässt sich sowohl auf die Besetzungsgeschichte der Band als auch auf die Bedeutung ihrer Musik für eine längst deutsch-deutsche Fangemeinde übertragen. Aber: Anna Loos gibt jetzt den Ton an, sie schrieb die meisten der neuen Songs selber und wird nicht müde, sich in Interviews den immer gleichen Fragen nach ihrer Rolle als "Tamara Danz-Ersatz" zu stellen. Dass ihre Bandkollegen hinter ihr stehen, zeigt ein Interview auf ihrer Homepage:
"Die betrat hier diesen Proberaum, unser Studio, und sang die Songs und sofort hatten wir alle das Gefühl, geil, das ist es. Jetzt haben wir sie!"
Sinnlich und kraftvoll, mal ermutigend, mal selbstreflektiv überzeugen vor allem die vielen ruhigen Töne auf "Kopf an Kopf". Loos´ professionell ausgebildete Stimme fügt sich hier besonders gut mit den Klängen zusammen, die Barton, Hassbecker und Reznicek routiniert eingespielt haben. Die erste Singlauskopplung "Deine Stärken" ist einer dieser funktionierenden Stücke, in denen deutlich wird, wie gut die, doch etwas verwunderliche Kombination aus ehemaligem Fan und drei in die Jahre gekommenen DDR-Rockstars sich tatsächlich ergänzt. Es klingt wie eine Liebeserklärung an "ihre Jungs", wie Loos ihre Bandmitglieder nennt:
"Deine Schwächen sind auch Stärken, an dir gefällt mir alles gut. Ich will dich nicht verletzen, hab´ nie verstanden warum ich´s tu´. Wir wählen Worte um uns zu streiten, als wären wir uns nicht genug. Zu oft vergessen wir zu sagen, wir gut wir uns beide tun."
Der Silly-Sound ist gereift und doch gleichgeblieben. Dabei ist es müßig, Danz´ Stimme mit der der von Loos zu vergleichen, sie ähneln sich in ihrer Tiefe, kleiden aber die Songs jeweils in ein komplett unterschiedliches Gewand. Auffällig sind jedoch nach wie vor die metaphernreichen Lyrics, mit denen früher geschickt die Zensur umschifft, unterschwellige Systemkritik geäußert wurde. Rock-Poet und Songtexter Werner Karma war für viele dieser Texte verantwortlich, steuerte auch zum neuen Album vier Lieder bei. Das provokant-politische "Vaterland" stammt aus seiner unverwechselbaren Feder und ist einer der Momente, in denen nur die etwas anders klingende Frauenstimme verrät, in welcher Zeit sich die HörerInnen befinden. Prägnant für die "alberne" (engl. silly, zu deutsch: albern) Klangfarbe ist nach wie vor das abwechselnde Geigen-und Gitarrenspiel Uwe Hassbeckers.
"Wie lieb´ ich so´n Land? Mit Herz oder Verstand? Blind oder mit Blick über den Rand?"
Silly ist eine der einzigen deutschen Bands, die von sich behaupten kann, in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland erfolgreich gewesen zu sein, sie haben ein langes Kapitel deutsch-deutscher Kulturgeschichte mitgeschrieben und sind immer noch dabei. Ihr neues Album ist nicht einfach nur ein x-beliebiges Nachfolgewerk von neu-formierten ehemals Erfolgreichen, sondern auch Vermittler ist zwischen einem nach wie vor metaphysisch zwiegespaltenen Land. Dem Album ist anzuhören, dass Silly sich dieser Verantwortung durchaus bewusst sind, aber auch die Vergangenheit hinter sich lassen wollen: Sie haben die Klischees satt.
AVIVA-Tipp: "Kopf an Kopf" kann im deutschen Musikzirkus ganz vorne mitmischen, das Album setzt ein Zeichen gegen die ständige Betrachtung der Band vor ihrem historisch-interessanten und teilweise tragischen Hintergrund. Ob Loos an Danz herankommt, ist dabei vollkommen irrelevant: Harmonie besteht, das ist hörbar und macht deutlich, dass manchem ehemaligen Fan die Neuerwägung leichter gemacht wird, als er/ sie vielleicht gedacht hatte.
Was bisher geschah: Nachdem Silly seit den frühen 80er Jahren äußerst erfolgreich in der DDR gewesen waren, versuchten sie nach der Wende mehr schlecht als recht ihre Musik in Westdeutschland zu etablieren. Als die charismatische Sängerin Tamara Danz 1996 an Brustkrebs starb, war auch der Wiedererkennungswert und Antrieb der Formation passé. Die drei verbliebenen Mitglieder Barton, Hassbecker und Reznicek lösten die Band zwar nicht auf, wandten sich aber anderen Projekten zu. Silly ließ 14 Jahre lang nichts von sich hören.
Anna Loos kommt aus Brandenburg an der Havel und war in ihrer Jugend Silly-Fan. Es gab praktisch kaum Auswahl für musikinteressierte Jugendliche im Osten, das Entertainment-Angebot ging über etwa zehn neuerscheinende Alben pro Jahr nicht hinaus. Loos hat nach ihrer Flucht aus der DDR in Hamburg eine Musicalausbildung absolviert, kam über Umwege zum Schauspielen und ist nun, fast 20 Jahre nachdem sie ihre erste Silly-Platte im einzigen Plattenladen in Brandenburg erstanden hatte, Frontfrau dieser Band. Ihr erstes gemeinsames Album "Alles Rot" wurde 2010 veröffentlicht.
Silly
Kopf an Kopf
Label: Island
Vertrieb: Universal Music
VÖ: 22. März 2013
Mehr Infos unter:
www.silly.de, www.anna-loos.de und auf Facebook
Website von Werner Karma
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